Nicht nur ein Weinkeller…

Besuch in einer ungarndeutschen Siedlung, Nadwar

Wenn man als Gast gleich ein ganzes Dorf erlebt, bekommt das Wort „Urlaub“ einen tieferen Sinn. Und genau das ist das Ziel der Einwohner und touristischer Unternehmer des Dorfes Nemesnádudwar, oder — wie der Ort auf Ungarndeutsch/Donauschwäbisch heißt — Nadwar. Im Frühling 2016 wurde ein modernisierter Keller mit Kelterhaus in der Nähe des Dorfzentrums eröffnet.

Das große Ereignis begann in Anwesenheit zahlreicher Fachleute und Journalisten mit einer Weinprobe. Wir trafen da auf eine ungewöhnliche Initiative: neben dem jungen  Winzer, Gábor Bergmann, stand auch ein Mann in reiferem Alter, Josef Etsberger. Was es über die einzelnen Weinsorten — Saszla, Cserszegi Fűszeres, Blaufränkischer Rosé, Blaufränkischer-Cabernet Cuvée — zu berichten gab, ergänzte Herr Etsberger mit interessanten Geschichten. So gesellten sich zu den Fachkenntnissen auch lustige Storys über die Einwohner des Dorfes.

In Ungarn zählt es nicht zu den Raritäten, wenn zu einer Siedlung auch ein Kellerdorf gehört. Es gibt zahlreiche Orte auch im Komitat Bács-Kiskun, in denen eine separate Flur oder sogar Ort dazu dient, Wein zu keltern und zu lagern. Vor ein- zweihundert Jahren wurden dort meist Löcher in die Löshügel gegraben. Vor diese Keller hat man dann später Kelterhäuser gebaut, die heute oft ganze Straßenzüge bilden. Und wenn das Schönheitsempfinden der Besitzer auf höherer Ebene angesiedelt war, spiegeln die Fassaden der Häuser eine Art bauern-bürgerliche Eleganz wider.

Wie uns erzählt wurde, in Nadwar war Weinproduktion immer präsent: jede Familie erzeugte 5-600 Liter Wein für den eigenen Verbrauch. Die Kellerreihen heißen hier „Hohl“. Diese sind eigentlich kleine Täler zwischen den Löshügeln, in die die Kellerlöcher gegraben wurden. Im Gegenteil zu Hajós geht man hier nicht hinunter in den Keller, sondern einfach hinein. Die ebenerdige Lage ermöglicht eine leichtere Reinigung der Fässer.

Nadwar liegt in der Nahe von Baje/Baja, und die deutschen Traditionen werden immer noch gepflegt. Viele von den 1.800 Einwohnern sprechen und benutzen noch die alte fränkische Mundart. An Arbeit mangelt es nicht: 600 Leute arbeiten in der Holzverarbeitung, insbesondere beim Schreinerhandwerk. Dem wirtschaftlichen Aufschwung ist es zu verdanken, dass ein Kelterhaus mit Keller vor einigen Jahren noch für 2-300.000 HUF zu haben war, jetzt liegen die Preise bei 1-3 Millionen HUF. Die malerischen Straßen und die guten Weine sind ein wahrer Tourismusmagnet. Auch Gruppenveranstaltungen werden angeboten, wie im Juni ein Internationales Gastronomisches- und Jägertreffen mit Hubertus-Messe, Kinder- und Erwachsenenprogramme, Wildgerichte und Weinproben.

Der touristische Wert des Dorfes wird auch dadurch erhöht, dass die Gegend für Radtouren sehr geeignet ist: die „langweilige Tiefebene“ wird da durch ihre Löshügel bunt abwechslungsreich. In den Wäldern an der Donau leben fast alle Tiere, die für diese Landschaft charakteristisch sind: Hasen, Fasanen, Rehe, Wildschweine und Hirsche. So ist  Nadwar ein Paradies für Jäger und Naturliebhaber.

Die gute „schwäbische Küche“

Die berühmte Nadwarer Suppe ist die schwäbische Knödelsuppe. Man legt darin Wurst, Gemüse und Knödel. Es klingt ja köstlich — ist aber ziemlich reichhaltig! Hat man davon zwei Tellerchen gegessen, mag man auch keinen Hauptgang zu sich nehmen, höchstens noch ein kleines Dessert. Wer auf Suppe ganz verzichten will, sollte ein Hahnpörkölt nehmen. Warum? Dieses Gericht hat zahlreiche Vorteile: man kann lange daran essen, es ist sehr schmackhaft und mit Nadwarer Rotwein ein wahrer Hochgenuss. Und am Ende freut sich auch der Hund, denn er hat einen Haufen Knochen bekommen.

Einige Sätze über besondere Weinsorten

Cserszegi Fűszeres ist ein relativ neuer Wein in der Gegend. Er wurde in den 1980-er Jahren in die Produktion eingeführt. Im Laufe der Jahrzehnte bewies dieser Wein seine außerordentliche Vorteile: er kann dem Klimawandel gut widerstehen, braucht nicht viel Chemie beim Pflanzenschutz und durch seine Aromastoffe kann ein hervorragendes, auch bei den Damen beliebtes Getränk erzeugt werden.

Und der Rotwein? Viele wissen noch, dass vor hundert Jahren der Kadarka die berühmteste Sorte war. Heute ist dieser Wein leider von den moderneren Sorten verdrängt worden, aber man müsste ihn — trotz der mühsamen Arbeit in den Weinbergen — unbedingt wiederbeleben. Kadarka ist eine seltsame Sorte: farbige Schalen, aber helles Beerenfleisch. Man kann davon also sowohl Weißwein, als auch Rosé- Schiller- oder Rotwein erzeugen. Für den weißen Kadarka muss man früh aufstehen: bei Morgendämmerung ernten, dann keltern und den und den Saft — ohne auf den Schalen stehen zu lassen — sofort in die Fässer füllen. So bekommt das Getränk keine rötliche Farbe, es bleibt weiß und hat einen ganz eigenen Geschmack. In besonders guten Jahrgängen lassen sich alle Varianten herstellen.

Und die Geschichte dazu von Herrn Etsberger:

„Meine Eltern waren noch stolz darauf wenn man sagen konnte: das ist das Fass des Urgroßvaters. Dann aber kamen die neue Technologie und auch eine Art von Reinheitsgebot in der Weinproduktion in Ungarn. Und wenn die Eltern nicht mehr zuschauten, zerschlugen die Söhne die alten Fässer und kochten ein Pörkölt auf den Holzstücken. Schade eigentlich! Doch für die neuen Weine braucht man neue Fässer, sogar eine neue Technologie. Die Behandlung des Weines erfordert mehr Fachkenntnisse  Aber — Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! So gehen die Männer nach der Sonntagsmesse um 11 Uhr noch in einen der nahe liegenden Keller, wo sie zu Fünft oder Sechst ein bisschen „kontrollieren“. Aber wer zu Mittag nicht zu Hause am Tisch sitzt, gilt als besoffenes Schwein!

Lajos Káposzta

2016