Frühlingsbeginn — nackte Schafe in der Puszta!
Schafwolle war ehemals ein wichtiger Rohstoff und zugleich auch Exportartikel Ungarns. Ganz bis zum Einbruch der chinesischen Waren. Jetzt, auf dem ungeschützten, freien Markt kann man für ein Kilo Schaffell kaum mehr einen Euro bekommen. — Das ist keine Beschwerde, sondern eine Tatsache! — behauptet jemand aus der Arbeitsgruppe der Schafscherer. Wir sind nämlich in einem landwirtschaftlichen Betrieb, in Südungarn, nahe Bugac. Es ist Mitte April, und der Anlass, warum wir hier einen Besuch abstatten, ist die Schafschur. In diesem „hodály“ (Schafstall) werden 1.200 Schafe gezüchtet. Wenn die wärmeren Tage kommen, wollen sie von ihrem „Wintermantel“ befreit werden. So wurde die Scherergruppe gerufen, etwa ein Dutzend Männer, die mit dieser Arbeit 2 Tage lang beschäftigt waren. Der Besitzer der Herde freute sich, dass diese Männer gekommen sind: sie arbeiten nämlich präzise und relativ schnell. Aus dem Erlös des Wollverkaufs werden die Kosten der Schafscherer gedeckt.
Nein, daran gibt es nichts zu rütteln: Schafe müssen jährlich geschoren werden. Diese Tätigkeit zählt zu einem der traditionellen Berufe in der Puszta. Der Familienname „Scherer“ (ung. Versionen: „Nyírő“, „Nyíró“, „Vágó“) kommt wahrscheinlich von diesem Beruf, bzw. von der Scherenherstellung. Es war damals eine sehr mühsame Aufgabe, jedes Tier einzeln, mit der Hand abzuscheren. Die Methode ist zwar heutzutage noch dieselbe, jedoch mit modernen Geräten. Die Arbeitsgruppe, die sich in dieser Wirtschaft für 2 Tage heimisch machte, bestand aus einem sogenannten Bandenwirt, der alle Mitarbeiter dirigiert und die abgestumpften Messerklingen schleift und acht Scherern, die mit den Apparaten blitzschnell umgehen können. Wenn wir den Erzählungen Glauben schenken wollen, dann liegt der ungarische Rekord bei 48 Sekunden pro Schaf. Ja, aber fügen wir hinzu: man braucht dazu eine entsprechende Zahl von Helfern, gutes Gerät und dann auch Ruhepausen… Die Arbeit ist hart, aber den Lohn kann man durchaus einen guten nennen. Von einem Schaf kommen 3-4 Kilo Wolle ab. Dieser Rohstoff wird nach Reinigung und Desinfektion zu garn gesponnen und daraus der nächste warme Winterpullover hergestellt (meist in China). Doch unverarbeitet hat die Schafswolle noch wesentlich zahlreichere Verwendungsmöglichkeiten.
Die Schafzüchter und die Hirten gingen mit den Arbeitern sehr freundlich um, und das taten sie nicht wegen der anwesenden Journalisten. Auf dem Balkon der Tanya tischte die Hausfrau feine Hühnersuppe und Schafpörkölt auf. Dieses Mittagessen gehört ebenso zur unverfälschten Puszta-Stimmung, wie die von ihrem warmen Ballast befreiten „nackten“ Schafe, die fröhlich über die Wiese tobten: Der Frühling ist da!
Lajos Káposzta
2015